chrisTINA @ jacobINA



26 November 2008

heimat und was katzen damit zu tun haben

voellig unerwartet - montag nachmittag um 17:30 - als ich gerade den biomuell zum kompost getragen hatte und am rueckweg ins haus war, ueberfiel mich ein tiefes gluecksgefuehl, begleitet von dem gedanken wie schoooeeen ist es hier ist... ob der anblick des im regenverkuendenden abendlicht versinkenden hausbergs ausloesend dafuer war, der kater, der sich ausnahmsweise an meine beine schmiegte (anstatt sie zu attackieren) oder einfach der meditative ablauf der hausarbeit weiss ich nicht so genau.

es war ein toller augenblick und ich dachte unwillkuerlich, dass es der moment war, an dem endlich auch meine seele hier in jacobina angekommen ist.

tatsaechlich hatte ich vor meiner ankunft hier nicht erwartet, dass es so lange dauern wuerde, bis ich mich heimisch fuehlen wuerde. natuerlich ist mir der zusammenhang von wohlbefinden und dem grad der beduerfnisbefriedigung bewusst, doch erst hier und jetzt hab ich intensiv erfahren, wie viele zutaten - abseits von gesicherter nahrung und obdach - noetig sind, um in mir heimatgefuehl zu erzeugen.

die entfernung zum "land der berge" spielt dabei keine oertliche, sondern eine menschliche rolle. denn in eben diesem land leben schliesslich beinah all jene menschen, die mir lieb und teuer sind. nach 6 wochen in jacobina hab ich aber gluecklicherweise auch hier schon viele nette menschen kennengelernt und vor allem wachsen die portugiesischkenntnisse kontinuierlich, um mich mit ihnen auch ueber ein "tudo bom" (= wie geht's?) hinaus austauschen zu koennen.

ein ebenso wichtiger faktor ist die gesundheit, die fernab der gewohnten umgebung einen noch hoeheren stellenwert einnimmt. und gleich darauf folgt, einer erfuellenden arbeit nachzugehen und das stellt nach wie vor eine richtig grosse herausforderung dar.

inzwischen haben sich zu alledem auch etwas gewohnheit und alltag dazugesellt und damit steht mein wohlbefinden wieder auf einem guten fundament, das mir in den naechsten monaten hoffentlich rueckhalt fuer die arbeit hier geben wird.

ueber die arbeit naechstes mal mehr. und ueber den kater auch.

ein heimatgefühl.
schön ist es, mit einer katze im bett
zu schlafen, irgendwo in der nähe
der füsse, dort, wo die zehen
vorsichtig in eine nächtliche welt
ausschau halten wie mauerwächter
einer sehr alten stadt, der stadt
des schlafs auf der hochebene der dunkelheit –
die katze also, nicht allzu nah,
doch in einer art einverständnis
mit den zehen, diesen zehn wächtern
gegen dunkelheit, chaos, nichts
und gegen den lärm eines fernen zuges.
und der schlaf der katze ruft in mir
einen tieferen schlaf hervor,
ihre art, sich wie ein fötus einzurollen
um ihren eigenen mittelpunkt,
gibt mir ein gefühl der vertrautheit,
ein heimatgefühl,
so als wäre diese welt
ein gänzlich natürlicher
aufenthalt.
lars gustafsson
[aus dem schwedischen von hans-magnus enzensberger]

18 November 2008

wahlen hier und dort 2

oesterreich wartet auf seine regierung (oder auch nicht), jacobina wartet auf einen prozess. trotz alkoholverbots am wahltag ist hierzulande niemand vor korruption gefeit. so kam es tatsaechlich zu einer mehr als fragwuerdigen wende der wahlentscheidung am 5. oktober 2008. der letzte buergermeister - senhor rui - wurde bereits euphorisch und mit karnevalsstimmung auf den strassen als wahlgewinner gefeiert, als quasi in letzter sekunde noch nicht ausgezaehlte stimmen aus einer communidade eintrafen. damit gelang es senhora valdice ihren mitbewerber rui mit 243 stimmen vorsprung abzuhaengen. dass dabei auch geld im spiel war, ist ein offenes geheimnis. nicht nur in jacobina liefen die wahlen solchermassen ab. rui - ein mitglied der arbeiterpartei, der sich in den letzten 4 jahren fuer die armen der bevoelkerung eingesetzt hatte und der elite jacobinas deshalb ein dorn im auge ist - reichte klage ein. die entscheidung ist ausstaendig und wird von der bevoelkerung hier mit spannung erwartet. der prozess allerdings verzoegert sich wieder und wieder. erst war senhora valdice krank, schliesslich ihr anwalt und heute frueh verkuendete radio jacobina die naechste absurde nachricht: die beweise wurden in der nacht von montag auf dienstag aus dem gerichtsgebaeude entwendet...

15 November 2008

samstags in jacobina ...

... hat man zeit zu bloggen oder die umgebung zu erkunden.

das erste mach ich heute, das zweite ereignete sich vor 2 wochen. hitze- und entfernungsbedingt begannen wir damit kurz nach anbruch des tages. wir, das waren renate aus oberoesterreich (inzwischen abgereist), junho - ein fuehrer aus jacobina -, ein paerchen, das oben in den bergen wohnt, und ich.

fotos von der wunderschoenen allerheiligenwanderung


frohen mutes marschierten wir also um 5.30 los, als sich die sonne noch unter kuehlenden wolken verbarg und der wind sein uebriges tat, um uns frisch zu halten. das erste stueck des weges war ein mir bereits bekanntes bergauf durch wald, vorbei an bauernhaeusern - fazendas oder roças genannt - und stacheldrahtumzaeunten agrarflaechen. gestaerkt von suessem kaffee, den wir der spontanen einladung eines bauern zu verdanken hatten, setzten wir die reise fort. die sonne begann bereits, ihre waerme auszusenden und der breite erdweg endete in einem almaehnlichen huegelland. ein blick zurueck liess die huegel von jacobina am horizont erahnen. wir verliessen den trampelpfad und folgten junho durch dichten wald, wo wir einige zeit spaeter einen grossen felsen erreichten. erst als die anderen sich duckten um einzutreten war erkennbar, dass sich darunter eine grotte verbarg. nicht weit von dieser entfernt lag eine noch groessere grotte. wunderschoen bot sie sich dar: im inneren mit jeder menge feinem sand ausgestattet, lud sie zum verweilen ein und haette sich als ideales schlafplaetzchen angeboten. das von oben einfallende sonnenlicht gab den blick auf die ueppige vegetation rundum frei. und die kuehle der grossen felsen entlockt jedem wandernden ein glueckliches laecheln.

lange konnten wir an diesem magischen ort leider nicht rasten. als wir aus dem dichten wald heraus kamen, erwartete uns die pralle sonne und huefthohe straeucher und felsen. der weg lag weiter unten in der talmitte, zu der wir uns vorkaempften. als wir dort unten ankamen, stand fuer mich fest, dass kurze hosen sich fuer wanderungen dieser art nicht eignen. hohes, scharfes gras hatte mir beeindruckende muster auf die schenkel gezeichnet. zeit darueber nachzudenken blieb nicht, junho und renate flohen gerade vor einer aufgescheuchten schlange, die vermutlich ebenso erschrocken das weite suchte.

die landschaft veraenderte sich ab nun staendig. leuchtend rote erde, stolze palmen, beeindruckende mangobaeume, riesige gruen schimmernde steine, in einer umgebung die fast einer - man haelt es kaum fuer moeglich - oesterreichischen alm aehnelte, waeren da nicht die vielen palmen. die weidenden rinder verstaerkten das heimatgefuehl. eines davon war im fluss ausgerutscht und konnte nicht mehr aufstehen. voellig erschoepft und abgeschuerft lag es im wasser. wir versuchten das grosse rind wieder zum stehen zu bekommen. leider konnten wir das arme tier nur stabilisieren und hoffen, dass ihm am nachmittag sein besitzer zur hilfe kommen wuerde. ab nun gings bergauf. der ausgetretene pfad bestand aus feinem nachgiebigem sand, weshalb wir wege links und rechts davon einschlugen, um so schnell wie moeglich oben im schutze einiger palmen rast machen zu koennen. es war etwa 11 uhr vormittags und die sonne strahlte unerbittlich. ich bewunderte das mit uns reisende paerchen, die nur mit flipflops beschuht am schnellsten vorankamen, egal welcher untergrund sich ihnen darbot. brasilianerInnen kommen wohl schon mit flipflops zur welt...

die dritte etappe fuehrte uns wiederum durch wald und steinlandschaft, an baechen entlang, durch eine surreal sattgruene wiese und in der ferne konnte man einen strahlend weissen steinbruch erkennen, der fast wie ein wasserfall aussah. kurz nach mittag kamen wir am fusse dieses (marmor)steinbruchs an, wo sich eine kleine goldgraebersiedlung befindet. eines der haeuschen war das des paerchens. waehrend sie begannen mittagessen zu kochen, fuehrte uns ein anderer bewohner aus der siedlung zur goldmine, die gleich um die ecke lag. in 60 metern tiefe wird nach gold geschuerft, 8 maenner arbeiten hier, soweit ich verstanden habe auf eigene rechnung. es ist schwerstarbeit, erst werden die steine zu tage befoerdert, dann zerkleinert und immer wieder zerkleinert und gewaschen und gesiebt, bis vielleicht ein kleines stueckchen gold uebrigbleibt. in der vorangegangenen woche hatten sie nichts gefunden. und das broeselchen gold das er uns gezeigt hatte, sah fuer mich aus wie ein gelber stein, ich haette es nicht als gold identifiziert. der bach unmittelbar vor der siedlung wirkte ziemlich verschmutzt und ich dachte unwillkuerlich, wie sich diese arbeit wohl auf die arbeiter selbst auswirkt. diesem bericht zufolge darf man da nicht gerade optimistisch sein: gefaehrlicher goldabbau - ein ehering produziert 20 tonnen giftmuell (oje, link funktioniert nicht. auf www.spiegel.de nach gefaehrlicher goldabbau suchen.)

das mittagessen - feijão (= bohnen), wer wollte mit fleisch, reis, salat und bananen - schmeckte trotzdem sehr gut. unsere gastgeber begleiteten uns auch noch weiter zur zirka 30 minuten entfernten kirche, die von den portugiesen im 18. jahrhundert erbaut wurde und mittlerweile eine ruine ist. diese kirche inmitten der berge, fernab jeder groesseren stadt laesst vermuten, dass auch schon die portugiesen hier nach mehr gesucht haben als nur nach ihrem seelenfrieden. eine wundervolle aussicht findet man hier auch noch heute noch. im inneren der kirche wurde ein wunderschoener altar aus palmenblaettern errichtet, der anlaesslich einer messe im september verwendet wurde. wegen eines feiertags machten sich an jenem tag viele menschen auf den weg zur ruine, um gemeinsam zu beten. wir genossen die ruhe der ruine, ihre mystische ausstrahlung und sammelten kraft fuer die letzte etappe.

noch mehr als 2 stunden wuerden wir bis zum ende unserer wanderung brauchen. zum glueck war die kraft der sonne nicht mehr ganz so unnachgiebig. das erste stueck fuehrte durch kuehlen wald und entlang an bezaubernden von steinen gesaeumten flussbetten. einige huegel liessen wir noch hinter uns, dann wies uns ein schmaler felsiger trampelpfad den weg hinunter in die stadt caem. bevor wir dort eintrafen, passierten wir aber noch zwei cachoeiras (= wasserfaelle). an einem fuellten wir unsere wasserflaschen an, der zweite war gross genug fuer ein kuehles bad. mir reichte es aber schon, die schuhe auszuziehen, den sand auszuleeren und barfuss ueber die warmen, leicht rosaroten felsen zu laufen. jetzt war es nicht mehr weit und wenig spaeter verkuendeten laute forróklaenge die existenz der ersten haeuser. um fuenf uhr nachmittags kamen wir in einer zu caem zaehlenden siedlung an. am campo wurde gerade ein fussballmatch ausgetragen und in einer bar mit sicht auf den fussballplatz genossen wir - erschoepft aber gluecklich - ein wohl verdientes kuehles bier. fast wie daheim ;-)

10 November 2008

die fahrt zur missão da terra | campo formoso

gestern unternahmen wir eine busreise, in die etwa 2 stunden entfernte stadt campo formoso, um gemeinsam mit tausenden anderen an der 29. missão da terra teilzunehmen. um 6 uhr frueh marschierten wir ins 30 min entfernte stadtzentrum und warteten auf die busse fuer die teilnehmerInnen der pfarre são josé operário. als der erste bus eintraf, wurde dieser ganz geduldig und ordentlich anhand einer namensliste befuellt. gut 15 minuten vergingen... beim zweiten bus hiess es dann: "alle anderen einsteigen, schnell, wir sind verspaetet." ich hatte schon ein nettes plaetzchen, als man mich wieder hinausbat, denn scheinbar waren wir zu viele fuer diesen bus und ein dritter wuerde kommen. als der ankam, winkten leute aus allen fenstern und die ansage des busfahreres bestaetigte den verdacht: "wir sind schon voll." "macht nix, die uebrigen schaetzungsweise 15 personen muessen trotzdem da rein", lautete die antwort...

fotos von der missão da terra in campo formoso

ich bin ja mittlerweile samstags schon 2 x vom markt mit einem taxi - einem kleinen fiat - heimgefahren, zusammen mit 5 bis 6 melonen, koerben voller martkeinkaeufe, 5 weiteren frauen und einem fahrer (also 3 personen vorne und 4 hinten...). trotzdem war ich gespannt, wie das im bus nun ablaufen wuerde.

nun ja, zusammenruecken "gente" (= leute) hiess es und es wurde geschlichtet und geschlichtet und siehe da, beinah jeder sass irgendwo. in meinem fall war das ein drittel platz, zusammen mit einer frau und ihrer enkelin auf einem doppelsitz (gluecklicherweise ohne mittellehne). 3 personen ergatterten trotz alledem keinen sitzplatz, waren aber sehr zufrieden mit dieser situation und begannen gleich nach der abfahrt mit einem musikalischen unterhaltungsprogramm. es wurde geklatscht und gesungen und getanzt und bei jeder strassenmulde mitgesprungen - von der ersten minute bis zur letzten. und trotz all dem rummel und der enge bin ich doch tatsaechlich kurz eingenickt...

beim heimfahren sah das ganze natuerlich aehnlich aus. diesmal waren wir zwar nur zu zweit auf einem doppelsitz - also eigentlich optimal - es gelang mir allerdings nicht, die alte frau neben mir zu ueberreden, ihre grosse reisetasche auf den boden oder in der hoehe zu verstauen. die tasche fuehlte sich wohl, ich weniger (und meine nachbarin wirkte auch etwas angespannt), aber die euphorie der anderen machte meine schiefe und unbequeme haltung wieder wett. bei einer temperatur von gut 35 grad war ich dann trotzdem froh, endlich wieder in jacobina anzukommen und meine nasse kleidung zu wechseln. viele der anderen insassInnen uebrigens auch, weil sie dachten, sie wuerden diese busfahrt bestimmt nicht ueberleben. mehrere schuetzende gebete, froehliche lieder und sambataenze unserer stimmungsmacherInnen waren noetig, um ihnen die angst vorm busfahren etwas zu nehmen. angesichts des alters der busse und der strassen kann ich diese angst ja ein klein wenig nachvollziehen.

die missão da terra selbst ist eine grosse prozession mit reden und shows und einer messe, bei sich das volk fuer ihr recht auf land versammelt und gemeinsam feiert. bis bald und alles liebe.